Die Differenzierung der sophokleischen Heerführer und Herrscher

Die sophokleischen Heerführer und Herrscher sind gute Menschen: sie kümmern sich um das Wohl ihrer Stadt, sie erfüllen ihre Pflicht usw. Und doch sind die meisten von ihnen mit einigen Makeln behaftet: sie sind z. B. herrschsüchtig und deshalb fordern sie bedingungslose Gehorsamkeit, beim leisesten...

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Bibliographic Details
Main Author: Jonas Dumčius
Format: Article
Language:German
Published: Vilnius University Press 1975-12-01
Series:Literatūra (Vilnius)
Subjects:
-
Online Access:https://www.zurnalai.vu.lt/literatura/article/view/42085
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Description
Summary:Die sophokleischen Heerführer und Herrscher sind gute Menschen: sie kümmern sich um das Wohl ihrer Stadt, sie erfüllen ihre Pflicht usw. Und doch sind die meisten von ihnen mit einigen Makeln behaftet: sie sind z. B. herrschsüchtig und deshalb fordern sie bedingungslose Gehorsamkeit, beim leisesten Widerspruch geraten sie in Aufregung, werden jähzornig usw. Das sind fast typische Eigenschaften der sophokleischen Herrscher und Heerführer. So sind: Aias, Agamemnon, Menelaos, Kreon, Oidipus Tyrannos, Herakles und andere. Und doch sind sie alle schon differenziert. Nehmen wir, z. B. Oidipus und Kreon: beide sind gut und zugleich herrschsüchtig. Aber, während Kreon rücksichtslos seinen Zweck verfolgt, indem er dem Staate zu dienen geruht, und keine Sentimente aufweist, ist Oidipus indessen sehr empfindlich, bemitleidet seine Thebaner und ist bereit alles zu tun, um seinem Volke zu helfen. Anders ist Aias: einerseits ist er Kreon ähnlich, da er rücksichtslos mit seinen Leuten verfährt, aber andererseits, erinnert er an Oidipus, wie seine Abschiedsrede zeigt. Und doch ist er kein Oidipus, da er sich nur um sich selbst kümmert, während Oidipus stetig an sein leidendes Volk denkt. Die Atriden hassen den toten Aias und verstehen nicht, dass dieser Hass unmenschlich und sogar sinnlos ist. Philoktet ist allzu starrköpfig, um das zu tun, was der gesunde Menschenverstand empfiehlt. Herakles ist am primitivsten: er tötet den unschuldigen Lichas, da er objektiv, d. h., ohne Rücksicht auf Umstände, denkt: Lichas ist schuldig, weil er eine tödliche Gabe brachte. All diese Herrscher sind auf ihre Ansichten versteift und zeigen keine Biegsamkeit, die die Umstände erfordern. Darum müssen sie leiden oder sterben. Odysseus im „Philoktet" ist im Gegenteil sehr biegsam: er ändert seine Methode, sobald die Umstände sich ändern. Anders ist Odysseus im „Aias": er predigt Menschlichkeit, die den damaligen Griechen schwer verständlich war. Einige Herrscher sind sehr idealisiert, so, z. B. Theseus: er ist makellos, Oidipus auf Kolono ist nicht weniger ideal, als Theseus. Interessant ist Neoptolemos: einerseits ist er ein idealer Jüngling, der keinen Trug zulassen möchte, andererseits ist er unpraktisch und hat wenig Erfahrung.
ISSN:0258-0802
1648-1143